Mit seinem Buch über den Migränekoffer hat Martin Leonhard gleichzeitig einen Ratgeber und einen Erlebnisbericht geschrieben. In MigraineFaces gibt er Einblick in seine Migränegeschichte.

Viele Migräne-Betroffene fühlen sich unverstanden und nicht ernst genommen. Ob in der Schule belächelt, im Familien- und Freundeskreis missverstanden oder im Job ausgegrenzt, etwa neun Millionen Deutsche, die unter der chronischen Krankheit leiden, kämpfen täglich gegen Vorurteile. Deswegen wollen wir aufklären.
Und wer kann eine Krankheit besser erklären als jemand, der sie hat? Wer unter Migräne oder Spannungskopfschmerzen leidet, wird oft selbst zum Experten. Deshalb stellen wir jeden Monat #MigraineFaces und ihre Geschichten vor.
Martin hat das Buch Erfolgsfaktoren meines Kieler Migränekoffers geschrieben, hier erzählt er uns, wie er mit seiner Migräne umgeht.
Macht mit: Teilt eure Migräne-Geschichten und -Gesichter mit dem Hashtag #MigraineFaces auf Facebook, Instagram oder Twitter – ungeschminkt oder stilisiert, alles ist erwünscht.
Wenn du auch mal Fragen zu deinen Kopfschmerzen beantworten willst, schreibe einen Kommentar oder schicke uns eine E-Mail an kontakt@m-sense.de.
Vorname: Martin
Tätigkeit: Forschung in einem Medizintechnikunternehmen
Kopfschmerzart: Migräne
Häufigkeit der Attacken: aktuell ca. 5 Triptantage, bis vor 1 Jahr 15-22 pro Monat
Etwa 1980 im Zeitalter vor der Einführung der Triptane, genaue Erinnerungen an die erste Migräne habe ich nicht. Die Attacken waren nachmittags und abends und sind durch den Schlaf weggegangen. Während des Physikstudiums bin ich regelmäßig 2x ab dem Nachmittag ausgefallen.
»Als Migräne wurde das bei mir erst 14 Jahre später diagnostiziert.«
Mit der Zeit hat sich dann der Charakter der Migräne geändert. Wegschlafen funktioniert schon lange nicht mehr, ab Schmerzstufe 7 von 10 geht Schlafen gar nicht mehr und die ganz üblen Attacken starten morgens gegen 4 Uhr.
So ziemlich alles, was die Leitlinien empfehlen, nichtmedikamentöse Prophylaxe, medikamentöse Prophylaxe, Akut- und Notfallmedikation. Daneben eine Menge Käse, der bekanntermaßen wirkungslos ist.
Mir hilft aktuell ein Paket, das ich aus der multimodalen Schmerztherapie mitgenommen habe: Eine ganze Menge verhaltensbezogener Aspekte. Dann medikamentöse Prophylaxe, einschließlich der neuen Antikörper und im Akutfall ein Triptan. Notfallmäßig musste ich mich seit über einem Jahr nicht mehr behandeln lassen.
Ja, und das halte ich auch für ganz zentral neben der medikamentösen Behandlung: Ausgewogene, kohlenhydrathaltige Ernährung, regelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus, jeden Mittag etwa 30 min. Entspannungsübungen mit einer CD, tägliche Spaziergänge mit dem Hund, ganz allgemein auch Selbstachtsamkeit, aber das musste ich mit der Zeit erst lernen.
Ich finde es prima, dass ich den Umfang der Einträge auf meine Situation sehr gut anpassen kann.
Ich bin seit einiger Zeit auf Instagram unterwegs und da bereits mit vielen Leidensgenossen in Kontakt getreten. Eure #MigraineFaces finde ich sehr ansprechend, sowie den einfühlsamen Podcast von Sabrina Wolf, „Unwetter im Kopf“.
Weil es eine unsichtbare, körperliche Schwerbehinderung ist und wir auch in den schmerzfreien Zeiten mit einer Reizwahrnehmungsstörung leben müssen.
»Am Ende möchte ich zweierlei: Für mehr Bewusstsein durch Öffentlichkeit eintreten und uns Betroffenen Mut zusprechen.«
Deswegen habe ich auch mein Buch Erfolgsfaktoren meines Kieler Migränekoffers nach einem stationären Klinikaufenthalt in Kiel aus Patientensicht geschrieben, meinen Kieler Migränekoffer. Darein packe ich die Quintessenz dessen, was ich gelernt habe und was mir bei meiner chronischen Migräne geholfen hat.
Es gibt Spezialisten, die Dir helfen können, auch wenn das Wissen über Migräne leider nicht besonders gut verbreitet ist.
»Ich möchte mit meinem Migränebüchlein dazu beitragen, ein Bewusstsein zu schaffen, dass es eine ganze Menge an Lösungsansätzen gibt.«
Jeder Migräne-Patient muss versuchen, selbst zu seinem Spezialisten zu werden. Und dann sollte man ausdauernd sein, einen wirklich guten Schmerzspezialisten zu finden, meist sind das Fachärzte mit der Zusatzbezeichnung „Spezielle Schmerztherapie“.
Das ist zunächst ein Bild, in dem wir uns als Migräne-Patienten wiederfinden. Wir haben genetisch bedingt einige Besonderheiten. So etwa einen erhöhten Stoffwechsel im Gehirn. Positiv wirkt sich aus, und diese Besonderheit ist auch vielen Betroffenen nicht bewusst, dass wir Schnelldenker sind. Professor Dr. Hartmut Göbel, Chefarzt der Schmerzklinik Kiel, nennt das den „Ferrari im Kopf“. Ein Ferrari läuft hochtouriger als eine gewöhnliche Familienkutsche. Und wenn der Treibstoff ausgeht, läuft nichts mehr. Bereits Unregelmäßigkeit oder Mangelsituationen können Migräneattacken auslösen.
Dieses Bild des Formel-I-Rennwagens habe ich in meinem Buch weiterentwickelt. Von außen sieht man weder dem Rennwagen noch uns Migräne-Patienten an, wenn es uns schlecht geht, wenn der Sechszylinder nur noch auf zwei oder vier Zylindern läuft. Wir haben gelernt, nach außen zu funktionieren. Erst in der Übergangsphase bis gar nichts mehr geht, leiden wir nach außen sichtbar.
»Regelmäßigkeit ist ein Schlüssel für Verbesserungen. Schlafen, Essen, Trinken, Erholung sind zentrale Faktoren bei Migräne-Patienten.«
Der Rennwagen dreht auch wie ein Uhrwerk seine Runden. Und dann gibt es die Flaggensignale am Rand. Wer sie nicht wahrnimmt, bekommt ein Problem. Die zu erkennen, muss von Betroffenen erst wieder gelernt werden. Das ist die Selbstachtsamkeit. Wir müssen lernen, den Ferrari im Tesla-Modus zu fahren, nämlich reichweitenoptimiert und nie auf Vollgas.
»Der Ferrari bleibt am Ende ein Einsitzer, sozialen Rückzug oder Isolation kennen wir.«
Dieses Bild, ausgehend vom Ferrari im Kopf, baue ich in den grauen Farben der Migräne mit vielen Facetten weiter aus. So erfahren wir, was dem Elektrobooster beim Formel-I-Rennwagens entspricht und was bei der Wahl der Werkstatt, beim Boxenstopp, wichtig ist.